Wie neue Stoffe entstehen
Gasbläschen steigen in einer Flüssigkeit auf. Was an eine Flasche mit sprudelndem Mineralwasser erinnert, ist in der Chemieindustrie ein häufig eingesetzter Reaktortyp – eine Blasensäule. In Laboren und auch in großen Techniktürmen sind sie in fast jeder Chemiefabrik zu finden. An den Grenzschichten der Blasen entstehen neue Produkte, die Ausgangsstoffe für zahlreiche Gegenstände aus unserem Alltag sind. Das Interesse ist daher groß, die Abläufe in Blasensäulen zu optimieren und steuerbar zu machen. Genau daran arbeiten Wissenschaftler vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik der Universität Stuttgart im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 716. Sie entwickeln Simulationen, mit denen sich relevante Faktoren virtuell testen lassen.
Blasensäulen sind Apparaturen, in denen Reaktionen zwischen gasförmigen und flüssigen Stoffe erfolgen. Dazu wird Gas am Boden der Blasensäule kontinuierlich einer Flüssigkeit zugeführt. Während die Blasen nach oben steigen, laufen an ihren äußeren Schichten chemische Prozesse ab, bei denen sich die Stoffe miteinander verbinden. Auf diese Weise entstehen rund 90 Prozent aller Produkte der Chemieindustrie, die in vielfältige Endprodukte einfließen: Kosmetik und Kleidung, Kunststoffartikel wie Plastikflaschen, Müllsäcke oder Folien und auch synthetische Kraftstoffe, wie sie für den Antrieb von Schiffen oder Raketen eingesetzt werden. Teilchensimulationen können ein Weg sein, um in Zukunft den Umsatz und die Selektivität der Endprodukte von Blasensäulen besser vorhersagen zu können.
Das heutige Wissen über Blasensäulen stammt hauptsächlich aus Experimenten, die nicht nur aufwändig sondern auch zeit- und kostenintensiv sind. Zunehmend werden Computersimulationen eingesetzt, um neue Produkte in diesem Reaktortyp zu entwickeln. Bislang stellten Wissenschaftler vor allem die Zirkulation der Gasblasen und die damit verbundene Strömung der Flüssigkeiten am Rechner nach. Damit lassen sich jedoch nur eingeschränkt Voraussagen über variable Bedingungen treffen.
Teilchensimulationen, wie sie innerhalb des Sonderforschungsbereiches (SFB) 716 an der Universität Stuttgart entwickelt werden, könnten das ändern. Das Forscherteam um Prof. Dr.-Ing. Ulrich Nieken vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik konzentriert sich auf die Grenzschichten der Gasblasen, dem Ort, an dem die eigentliche chemische Reaktion stattfindet. Die Wissenschaftler entwickeln Simulationen, mit denen sich relevante Faktoren wie Säulengröße, Flüssigkeitsmengen oder Stoffkombinationen am Computer virtuell testen lassen. Die Schwierigkeit liegt dabei in der Untersuchung mehrerer Blasen, die teilweise miteinander verschmelzen. Die sich ständig verändernden Größen der Grenzflächen müssen exakt berechnet werden, um realistische Ergebnisse zu gewinnen.
Die Stuttgarter Simulationsexperten lösen die Systeme mit sogenannten gitterfreien Verfahren in bis zu 20.000 Elemente auf und ermitteln deren Verhalten unter Berücksichtigen aller realistischen Randbedingungen. Damit wollen sie wichtige Details klären: Wann kommt es zu den gewünschten Reaktionen? Welche chemischen Phänomene spielen dabei eine Rolle? Welche Menge des Endproduktes kann erzeugt werden? Und wie lassen sich die Abläufe beschleunigen, um den Umsatz zu optimieren? Die Wissenschaftler erarbeiten aufwändige numerische Berechnungen, die große Rechencluster oder die Berechnung auf Grafikkarten erforderlich macht. Vor allem die Ausnutzung der verfügbaren Rechenkapazitäten steht im Zentrum ihrer Forschungsarbeit.
Mit ihrer Vorgehensweise sind die SFB-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Vorreiter bei der Simulation der beschriebenen Prozesse in Blasensäulen mit gitterfreien Verfahren. Erstmals konnten sie nun mit ihrer Methodik mehrere Blasen am Computer abbilden. Bis die Prozesse ausreichend lange und umfangreich simuliert werden können, um die relevanten Fragen beantworten zu können, ist jedoch noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten.
Die aktuellen Forschungsergebnisse werden im Juli in einem Sonderheft über Blasensäulen des Fachjournals „Chemie Ingenieur Technik“ veröffentlicht. Diese gilt als wichtigste deutschsprachige Zeitschrift für Verfahrensingenieure, technische Chemiker, Apparatebauer und Biotechnologen.
Zur Publikation LINK GEHT NICHT
Teilprojekt A.6 | Institut für Chemische Verfahrenstechnik